Repertory Grids sind eine Methode zum Erheben von unbewusstem Wissen.
Beispiele:
Repertory Grids eignen sich, um Tiefenwissen zu erheben.
Durch eine spezielle Fragetechnik (Triade) gelingt es mit dieser Methode jenes Wissen kommunizierbar zu machen, das bei normalen Interviews oder Fragebögen meist verborgen bleibt.
Oft ist es aber genau dieses unbewusste Wissen, das unsere Entscheidungen oder Handlungen leitet!
Da die Methode völlig inhaltsoffen ist, lässt sich auf so gut wie alle Lebens- und Organisationsthemen anwenden. Die Methode wird nur durch die Auswahl der Elementen angepasst, um das Wissen zu einem entsprechenden Thema zu erheben. Elemente können ganz vielfältig sein: Produkte, Marken, Personen, Prozesse, Situationen u.v.m., an denen die befragten Personen ihre jeweils zu erhebende Erfahrung oder das Wissen festmachen, z.B.:
Als Gegengewicht zur völligen Inhaltsoffenheit besitzen die Grids eine strenge Syntax, d.h. einen stark durchstrukturierten Befragungsprozess. Das ist entscheidend, damit keine Vorannahmen der Interviewerin oder des Interviewers das erhobene Wissen verfälschen. Die Art der Befragung wird sehr oft von den Befragten als sehr spannend erlebt, weil es "mal etwas anderes" ist oder weil es selbst zum Nachdenken und im Idealfall zu eigenen "Aha-Effekten" führt.
Die Ergebnisse, die mittels Repertory Grids erhoben werden, sind sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur. Einerseits können nur auf qualitativem Weg wirklich neue Einsichten und neues Wissen erhoben werden. Gleichzeitig lassen sich die qualitativen Ergebnisse dennoch mittels statistischen Analysen auswerten und grafisch darstellen. Die Repertory Grids vereinen die positiven Aspekte aus dem qualitativen und dem quantitativen Befragungsansatz.
Die Repertory Grids wurden von George A. Kelly in den 1950er Jahren entwickelt als Methode zu der von ihm dargelegten Psychologie persönlicher Konstrukte (engl. Personal Construct Psychology, kurz PCP).
Ausgehend von einem konstruktivistischen Weltbild geht Kelly davon aus, dass für jede Situation in der Welt immer verschiedene alternative Sichtweisen gibt (konstruktiver Alternativismus). Diese Sichtweisen sind einerseits von Mensch zu Mensch verschieden (deshalb personal constructs), nämlich abhängig von den bisherigen Erfahrungen, die ein Mensch in seinem Leben gemacht hat. Andererseits können sich diese Sichtweisen auch bei einem einzelnen Menschen im Laufe seines Lebens immer wieder verändern, d.h. Erfahrungen können immer wieder neu konstruiert werden. Damit würde man die Psychologie heute als positive Psychologie bezeichnen.
Die persönlichen Konstrukte, die mittels Repertory Grids erhoben werden, sind die Art und Weise eines Menschen, seine Welt zu sehen. Sie machen die Persönlichkeit eines Menschen aus, sie sind das Bewertungssystem, mit dem Erfahrungen beurteilt werden. Sie öffnen bestimmte Handlungswege und verschließen andere.
Bei Organisationen verhält sich das ähnlich: den Kern einer Organisation machen ebenfalls grundlegende Konstrukte aus, die aus (organisationaler) Erfahrung gelernt wurden. Das ist das, was man typischerweise organisationale Identität und Kultur nennt. Auch diese organisationalen Konstrukte öffnen den Blick für manche Handlungswege und verschließen den für andere.
Durch die Wissenserhebung mit Grids kann sichtbar gemacht werden, was das Erfahrungswissen einer Expertin oder eines Experten ausmacht, warum sie oder er so effektiv sind (z.B. in der Kundenbetreuung oder im Projektmanagement) oder welche Konstruktionen mit einem beliebten Produkt oder einer beliebten Marke verbunden werden. Diese Erhebung ermöglicht es, dieses Wissen anschließend weiterzugeben. Es kann auch erhoben werden, welche Werte eine Organisation im Kern zusammenhält und wie diese sichtbar werden - und zwar jene Werte, die gelebt werden und nicht jene, die nur „auf dem Papier“ stehen.
Grids sind aber nicht nur eine Erhebungsmethode, um Wissen weiterzugeben, sondern auch um den Startpunkt für eine Veränderung zu schaffen. Welche Konstrukte sind nicht mehr hilfreich, welche verschließen Wege, die man aber gehen möchte? Welche Konstrukte unterstützen die Veränderung? Das Verändern hat immer auch mit Loslassen zu tun. Loslassen funktioniert aber nur, wenn Altes gewertschätzt wird und neue Anker in Sicht sind. Repertory Grids sind ein Mittel, das aktuelle Konstruktsystem zu erheben, Konstrukte und ihren Wert für die Persönlichkeit oder die Organisation zu identifizieren (was ist das, was uns im Innersten zusammenhält?) und zu erkennen, welche Konstrukte in Bezug auf die aktuelle Situation hilfreich sind und welche bremsen. Mittels Grids kann auch in zeitlichem Abstand Veränderung „gemessen“ werden, nämlich in der Art und Weise, wie sich Konstrukte verändert haben.
Die Repertory Grid-Technik (Repertory Grids) wurde von Kelly ursprünglich entwickelt, um persönliche Konstrukte zu Rollen zu erfassen. Heute ist es eine Technik, die eine unendliche Breite von Einsatzgebieten hat: Marketing, Tourismus, Pädagogik, Expertensysteme, Beratung, Unternehmenskultur u.v.m..
Das klassische Vorgehen nach Kelly besteht aus drei Schritten:
Zunächst werden die Elemente ausgewählt, d.h. Bedeutungsträger eines bestimmten Lebensbereichs. Das können Dinge, Personen, Entscheidungsoptionen, (kritische) Situationen, aber auch abstraktere Einheiten sein. Die Elemente sorgen dafür, dass Wissen über den entsprechenden Bereich erhoben wird, der interessiert.
Wichtig ist bei der Elementauswahl, dass solche Elemente gewählt werden,
Für die Erhebung der Konstrukte werden der befragten Person jeweils drei Elemente (z.B. drei Projekte der ProjektleiterIn oder drei Autos der KonsumentIn) vorgelegt und nach deren Ähnlichkeit und Unterschied gefragt. Dies wird triadisches Vorgehen genannt, weil man immer von drei Dingen startet. Es wird dabei nicht nur erhoben, was das Gemeinsame von zwei der drei ist, sondern auch, was der Gegenpol, also was das dritte ist. Erst Konstruktpol und Kontrastpol zusammen spannen den gesamten Bedeutungsraum auf. Das Vorlegen von immer wieder neuen Triaden und das anschließende Fragen nach Ähnlichkeit und Unterschied wird solange wiederholt, bis keine neuen Konstrukte mehr genannt werden können. Der Einsatz von Kärtchen für die Elemente hat sich bewährt, um an Tiefenwissen zu gelangen.
Abschließend werden alle Elemente bezüglich aller erhobenen Konstrukte von der befragten Person bewertet, inwiefern für jedes Element eher der Konstruktpol oder eher der Kontrastpol zutrifft. Oft finden hier 5 oder 6-stufige Ratingskalen Einsatz.
Die Auswertung der Repertory Grids kann qualitativ und quantitativ erfolgen. Qualitativ stehen verschiedene inhaltsanalytische Verfahren zur Verfügung. Darauf aufbauend können mit Kontingenz- oder Äquivalenzanalyse Zusammenhänge zwischen den gebildeten Kategorien untersucht und dargestellt werden (welche Kategorie tritt wie häufig mit einer bestimmten anderen Kategorie zusammen auf, welche Kategorien schließen sich gegenseitig aus).
Quantitativ können die bewerteten Grids einer Clusteranalyse oder Hauptkomponentenanalyse unterzogen werden. Die Clusteranalyse versucht die Elemente oder die Konstrukte anhand der Bewertungen nach Ähnlichkeit in sogenannte Cluster zusammenzufassen. Die Hauptkomponentenanalyse ist eine Faktorenanalyse, die versucht, zugrundeliegende Dimensionen des Konstruktsystems der Person zu erkennen und darzustellen. Dies sind nur einige Verfahren, es gibt noch zahlreiche weitere.
Vorteile der Repertory Grids gegenüber bisherigen Wissensakquisitionsverfahren sind aus meiner Sicht der Prozesscharakter des Verfahrens. Damit wird die Repertory Grid Technik der Dynamik von organisationalen Prozessen gerecht, da sie dynamisch eingesetzt Veränderungen abbilden kann. Repertory Grids eignen sich auch, zunächst nicht sichtbare und fassbare Elemente und Tätigkeiten, implizites Wissen leichter zu (er)fassen.
Für mehr theoretischen Hintergrund, einen Erhebungsleitfaden sowie Auswertungshinweise kann mein Handbuch der Repertory Grid-Technik (2012) heruntergeladen werden.
Theorie und Praxis der Repertory Grids beschreibe ich in einem aktuellen Methodenartikel im Kontext der Lehrer:innenbildungs-Forschung:
Repertory Grid-Technik zwischen qualitativer und quantitativer Forschung: Eine Methode zur Erhebung impliziten Wissens. Methodenbeitrag. In C. Fridrich, B. Herzog-Punzenberger, H. Knecht, N. Kraker, P. Riegler, G. Wagner (Hg.) (2023). Forschungsperspektiven 15: Mehr Begeisterung für MINT-Fächer (S. 179-195). Wien: LIT Verlag. Open Access über den LIT-Verlag verfügbar unter: https://www.lit-verlag.de/media/pdf/86/f9/60/13_Hemmecke_Repertory-Grid-Technik.pdf.
In meiner Dissertation habe ich mich mit dem Einsatz von Repertory Grids in Organisationen zum Erheben von implizitem Wissen auseinandergesetzt. Hier kann man zum Beispiel nachlesen:
Die Arbeit wurde an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien vorgelegt und verteidigt. Gutachter waren der Informatiker und Wissensmanagement-Experte Prof. Dr. Christian Stary (Wikipedia-Eintrag) und Wissenschaftstheoretiker und Kognitionswissenschaftler Prof. Dr. Markus Peschl (Wikipedia-Eintrag).
Der Abstract (deutsch und englisch) der Dissertation kann als pdf unter folgender Adresse heruntergeladen werden: https://hemmecke.com/material/Hemmecke-Jeannette-2012-Dissertation.pdf. Der Volltext meiner Dissertation mit dem Titel "Repertory Grids als Methode zum Explizieren impliziten Wissens in Organisationen" ist auch über die Universitätsbibliotheksseite der Universität Wien als pdf frei zugänglich: https://utheses.univie.ac.at/detail/24646#.